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Schauspielhaus

Sind Puppen die besseren Schauspieler?

Wenn man sich das „Das Missverständnis“ (Albert Camus) unter der Regie von Nikolaus Habjan am Schauspielhaus Graz ansieht, kann man diesen Eindruck gewinnen.
Wem der Inhalt nicht zu harte Kost ist, sollte sich dies passend zu Halloween und Allerheiligen/Allerseelen nicht entgehen lassen. Im Ernst, das Spiel mit den Puppen, deren Symbolkraft verschiedene Interpretationen zulässt, ist kräftig, eindeutig, einfühlsam, hypnotisch, beängstigend und rührend zugleich. Die bis auf die Münder regungslosen Gesichter der Puppen wirken überzeugend lebendig; es bedarf keiner weiteren Regungen bis auf Stimme und Bewegung. Das scheinbar starre Puppenkorsett reicht nicht nur aus, die Geschichte konzentriert zu erzählen, es fördert geradezu die Wirkungskraft der in den Hintergrund tretenden Schauspielenden.

Selbige können optisch zwar nie wirklich gut ausgeblendet werden, dafür aber stimmlich umso besser. Dies wird dramatisch bewusst, wenn die Figuren in einen Dialog mit ihrem Inneren verfallen; sehr raffiniert umgesetzt. Wie gleich die ganze Inszenierung intelligent und behutsam umgesetzt ist, angefangen von einer an große Filme erinnernden musikalischen Untermalung, dem klaren Bühnenbild eines schräg kippenden Hotelaußen- und innenlebens ebenso wie die Tatsache, dass alle fünf Figuren im Stück von den drei Darstellenden gespielt werden. Eine Herausforderung, die gelingt.

Bunter Abend mit Viktor Kafka

Sie kennen Viktor Kafka nicht? Dann sehen Sie sich „Amerika“ im Schauspielhaus Graz an.

„Amerika“; ein Roman der eigentlich „Der Verschollene“ heißen hätte sollen, hätte ihn Franz Kafka vollendet. Und irgendwie verschollen kam einem der Protagonist Karl Rossmann in der Inszenierung von Viktor Bodó auch vor. Geschluckt vom Handlungsstrom, vom Karusell der ständig wechselnden Bühnenbilder, der vielen turbulenten Szenen und Figuren, mitgerissen und rausgeworfen zugleich. Anders als bei Turrinis „Der Riese vom Steinfeld“ – gesehen neulich am Wiener Volkstheater – kann man sagen, dass der Fokus weniger an der (für meinen Geschmack ebenso wie beim „Steinfelder Riesen“ zu naiv verhalten interpretierten) Hauptfigur denn vielmehr am ganzen Ensemble gelegen ist, das wahrlich einiges auch teilweise Akrobatisches zu tun hatte. Die unermüdlichen beachtlichen schauspielerischen wie körperlichen Leistungen der Darstellenden gehört wie in vielen Produktionen von Bodó zum Markenzeichen des schnellen Stückes. Auch Kafka selbst scheint ein Opfer des bunten Tempos geworden zu sein; und somit ist etwas Neues, Eigenes entstanden, dass es sich sehr lohnt genossen zu werden. Der Ideenreichtum von Bodó grenzt am Machbaren des Hauses und bestimmt den ganzen Abend; Kafkaeskes blitzt dennoch an wenigen Stellen durch, die dann durch eine geradezu „haneksche Ruhe“ dominiert werden.

Sie wollten ein Konzert von Ludwig Hirsch besuchen und fanden sich bei Falco wieder – anders aber interessant zu gleich!

Von Kindern und Tieren auf Bühnen II

und in diesem Fall, nur Tiere: Schafe nämlich.

Opferlamm, Wolf im Schafspelz, Herdentrieb, Schwarzes Schaf, Unschuldslamm oder Blöcken, egal was; das Bild passte und traf unerwartet und befremdlich zugleich genau den Kern der Thematik bei der gestrigen Vorstellung von Elfriede JelineksRechnitz (Der Würgeengel)“ in der österreichischen Erst-Inszenierung von Michael Simon am Grazer Schauspielhaus. Schafe! Ruhig und scheinbar teilnahmslos auf der leicht abgedunkelten Bühne umhertretend, stehend, hopsend, am Gezäun knabbernd, bäh (was sonst), mystisch und kraftvoll, rechtzeitig vor Ostern und rechtzeitig gestern in der Nacht vom 24. auf den 25. März (jedoch glücklicherweise nicht vor 67 Jahren und glücklicherweise im gut beheizten Grazer Schauspielhaus sitzend). Man merkt schon, der Realitätsanspruch von Theater wird duch Tiere auf der Bühne unübertroffen. Die spielen nicht, die sind so; wir als Zuseher und Beobachter erkennen: Die Bühne ist keine Illusion, nicht gemacht, nicht einstudiert, nicht anders und das Alles Jetzt. Wir sitzen nicht entfernt und genießen die unsichtbare 4. Wand als Schutz auch vor unserer zusehenden Befangenheit und/oder Belustigung, nein, wir erfassen uns als Teil des Schauspiels, da es keine Grenze mehr gibt zwischen Bühne, dem Stück und uns; so soll es sein – ein Dank dafür!

Danke auch dafür, dass keine plakativen Gemetzel-, Sexual- oder derart durchaus naheliegenden Blitzlichter auftauchten. Danke auch für die intelligenteren Lösungen und Bilder an Stelle dieser. Ein dickes Danke an die feine Textarbeit der geforderten Schauspielerinnen und Schauspieler. Ein noch dickeres Danke an die meiner Meinung gefühlvollste Szene des Abends mit dem grandiosen Stefan Suske und der überzeugende (deutschen – lol) Steffi Krautz für ihre Heranführung an den Kannibalismus – lese auch: „Wir Nachgeborenen haben uns einen Blick auf die NS-Zeit zurechtgelegt, der mehr oder weniger sagt, der Holocaust ist ein bürokratischer und verwaltungstechnischer Akt gewesen. Und die Jelinek sagt, es ist ein dionysischer Rausch gewesen, in dessen Verlauf Menschen gegessen worden sind.

Für Interessierte:

Disney in Graz

Wenn man von den (hier mal wirklich passenden) Obszönitäten absieht findet man sich bei Victor Bodós Inszenierung von Shakespeare´s  „Ein Sommernachtstraum“ im Schauspielhaus Graz in einer dreidimensional fleischgewordenen Disneywelt wieder. Tempo, Sing/Sang, Figuren und vorallem komikhafter Witz jagen und ergänzen sich in einem turbulentem herzhaften Durcheinander, dass so gespickt ist mit Abwechslung und Ideen wie Puck´s (hervorragend gespielt von Thomas Frank) ständig wechselnde Kostüme. Selbstironie, Doppelbödigkeiten und Realitätsbezug sind ebenso geschickt eingebaut wie das intelligente, der Handlung variabel dienende und (zum Glück) wenig bunt gehaltene Bühnenbild (von Pascal Raich); rasche Ortswechsel, Verschiebung der Vertikalen und Horizontalen werden so spielerisch und fürs Publikum sehr glaubwürdig gespielt blitzschnell möglich.  Es ist ein abendfüllender Genuss dem bekannten Treiben in dieser erfrischenden Form beizuwohnen. Die Premierennervosität ignorierend kann man zweifellos sagen, dass das gesamte Ensemble hier wahrlich Großes vollbringt!

Mein Tipp: Anschauen; überraschen lassen!

Die Geister die man nicht ruft …

… und trotzdem da sind, wird man auch nicht los. Das Leben und den Tod des Logikers Kurt Gödel in Anna Badoras Inszenierung am Schauspielhaus Graz als vielschichtiges Biografie-Karusell genießen, das kann man bei der Bühnenfassung von Daniel KehlmannsGeister in Princeton„. Szenische Aufarbeitung markanter Lebensabschnitte und einschneidender Ereignisse, gegenseitige Durchdringungen derselben und immer wiederkehrende, und dabei langsam sich entwickelnde Motive gehen ineinander in ein abgerundetes Ganzes über; in diesem Sinn kein Unvollständigkeits-Anspruch. Ebenso verschwimmen die Grenzen zwischen Logik, Philosophie und Einbildung bis hin zu fast Mitleid erregendem krankhaften Wahn liegen im Auge des Betrachters. Auch die pointiert eingesetzte Komik lässt viele österreichische Kabarettisten hinter sich. Offen bleibt die Frage: Wer ist mehr zu loben? Kehlmanns Stück selbst? Anna Badoras Umsetzung? Die Schauspieler?

So „einfach“ kann intelligente Unterhaltung sein!