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Kritiken

Schau nicht wie die Kuh wenns blitzt!

Auch wenn es nicht die Premiere von Thomas Bernhards „Einfach kompliziert“ mit Gert Voss in einer Inszenierung von Claus Peymann des Berliner Ensembles im Theater am Schiffbauerdamm war, auch wenn es nicht „Ödipus auf Kolonos“ mit Klaus Maria Brandauer – einmal den Brandauer zufällig live sehen … – im selbigen Hause war (beide Vorstellungen waren ohne Murren restlos ausverkauft), mein verlängerter Wochenendausflug nach Berlin brachte mich immerhin in das vom genannten Schauspielhause einen olympischen Steinwurf entfernte Maxim Gorki Theater, wo ich die Premiere von PeterLichts „Der Geizige“ nach Moliere unter der Regie von Jan Bosse genießen durfte. Als Össi ein Genuss in mehrerlei Hinsicht zumal die verwendete Sprache immer wieder in dialektischen Charme und umgangssprachliche Redewendungen (siehe Titel des Posts) rutschte; auch der Hauch von Musical der die nicht immer kurzweiligen 110 Minuten des ganzen Stücks begleitete war sehr erfrischend und passend zugleich; kein Wunder, ist doch PeterLicht eher dem akkustischen Genre zuzuschreiben.

Der Inhalt lässt viel Spielraum: Geiziger Vater, der sein Geld hart erarbeitet hat, denkt weder daran selbiges an seine Nachkommen zu Lebzeiten zu verteilen, noch diese, seine Lebzeit „alt“ zu verbringen „Je älter ich werde, desto unnötiger finde ich, dass ich älter werden; je reicher ich werde, desto unnötiger finde ich, dass ich früher arm war„. So kommt es bei einem inszenierten Familientreffen zur unweigerlichen Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn. Die Kommunikation der Beiden ist gestört; Vater und Sohn reden im „selbstdialogischen Vakuum“ – Danke Bernd – aneinander vorbei. Zum Punkt kommen sie jeder für sich in Rechtfertigungs- und Weltanschauungsmonologen. Diesen hinzugemischt werden einige kleinere und größere Themen unserer Gesellschaft pointiert aufs Tapet der Familientafel gebracht; wie zum Beispiel die Verwei[ch/b]lichung der Menschen durch „sexuell aufgeladenen Klärschlamm„, der als Dünger der Agrarwirtschaft wieder in unsere Körper zurückfindet. Aber auch Ernsteres, wie ein perversiertes Patenschaftstum der Industrieländer für Kinder aus Entwicklungsländern wird gekonnt als immer wiederkehrendes Motiv mit grotesker Kommunikation vor Augen geführt.

Am beeindruckendsten jedoch die Rede des Vaters, hervorragend gespielt von Peter Kurth, der es sich zum Glück auch nicht nehmen ließ, mit dem Publikum zu interagieren. In nachvollziehbar genugtuender Argumentation bleibt er bei seiner Entscheidung und lässt der Jugend keinen finanziellen Raum; im Gegensatz zu seiner eigenen Jugend, der er durch offen ausgesprochenes Begehren nach der Verlobten seines Sohnes Auftrieb verleiht. Der Genuss des Lebens jedoch bleibt ihm in und durch die Realität verwehrt „Warum kann ich mir nicht einmal eine Zahnpasta kaufen und die bleibt dann bei mir„. Die freudlose Wiederholung des Alltags hat ihn zum sarkastischen Machtmenschen geformt, der die Kontrolle nicht aus der Hand gibt. Dies wird durch das kluge Bühnenbild unterstützt, welches den Eindruck eines Spinnennetzes mit dem Vater als fette Spinne im Zentrum desselben erweckt – und alle kleben darin, an ihm fest.

Übrigens, auch das Maxim Gorki Theater spielt heuer noch Kleists Zerbrochenen Krug; und wer Kleist noch ein Stück näher kommen möchte, der kann in Berlin weilend einen Besuch am Grabe Kleists am nahe gelegenen Wannsee nicht abschlagen.

Affentheater

Was machen Sie, gefangen in einer scheinbar ausweglosen Situation, ohne Möglichkeit auf Hilfe, einer fremden Macht und deren Wünschen ausgeliefert? Wiedersetzen oder den Wünschen entsprechen? Warten auf die Chance zum Ausbruch oder gar Selbstaufgabe bis zum letzten Entschluss?

Dieses immer wiederkehrende Grundschicksal lebendiger Wesen, das wir in seiner härtesten Weise aus der Vergangenheit sehr eindringlich mit Entsetzen vielfach kennen und auch gegenwärtig oft unmittelbar erleben müssen, ist aber auch in viele beinah alltägliche Lebenssituationen für das Individuum als auch für die „Gruppe“ transponierbar.  Wo hört die Freiheit der eigenen Wünsche auf, wo beginnt jene des anderen? Wie gehen wir mit Macht um, die uns vermeintlich gegeben ist, der wir plötzlich ausgeliefert sind?

Der Protagonist, Rotpeter, ist im wahrsten Sinn ein solcher, da er sich auf der Suche nach einem Ausweg aus seiner Gefangenschaft aktiv für das Leben entscheidet. Der Preis dafür ist die anfängliche Unterdrückung seiner Natur und die Kraft – die sich später in bewussten Willen umwandelt – aufzubringen, Mensch-Sein zu lernen. Rotpeter ist ein Affe; der Affe in Franz Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“. Die Umwandlung die Rotpeter durchmacht bringt ihm zwar nicht die als Affe gelebte Freiheit zurück, jedoch den Ausweg, um dem es ihm stets (auch als Affe!) gegangen ist. Er beobachtet, imitiert und lernt deshalb zu handeln, wie die Menschen von denen er umgeben ist – was ihm den einen oder anderen Rausch einbringt. Er beginnt sogar in ihrer Sprache zu sprechen und erreicht damit einen menschlichen Status; beinah übermenschlich, da er einen seiner Lehrer in die Nervenanstalt bringt. Auch wenn Rotpeter seinen Bericht mit der Erkenntnis schließt „Im ganzen habe ich jedenfalls erreicht, was ich erreichen wollte.“. bleibt das bedrückende Gefühl der Entfremdung vom Selbst, bei Rotpeter wie auch dem Zuseher.

In der trotz der Thematik immer wieder auch humoresken, feinfühligen Produktion der schaubühneGraz unter der Regie von Christian M. Müller hält uns der Grazer Schauspieler Daniel Doujenis im Kulturzentrum bei den Minoriten (ImCubus) diesen Spiegel der menschlichen Zivilisation vor, und dies von Beginn an.

Mord im Dom

Am Sonntag dem 14. November wurde ich Zeuge eines abscheulichen, niederträchtigen Verbrechens, ich wurde Zeuge vom „Mord im Dom“. Richtigerweise war es ein Mord im prunkvollen, bis zum letzten Platz ausverkauften, angenehm beheizten Grazer Mausoleums, das seine Pforten für die Spielgemeinschaft Hohenrain öffnete, die dieses Stück – teils mit den selben Darstellern – vor 32 Jahren in der Rupertikirche erstmals aufführte und seitdem mit anhaltendem Erfolg mittlerweile als „Schlossspiele Reinthal“ jährlich 2 Produktionen auf die Beine stellt.

T.S. Eliot beschreibt darin in Versform die letzten Tage von Thomas Becket dem Erzbischofs von Canterbury. Als er nach 7 jähriger Verbannung aus Frankreich zurückkehrt, stellen sich 3 Versucher (die ersten drei Versuchungen Christi) ein, die seinen inneren Seelenkampf versinnbildlichen. Die vierte Versuchung, war der Grund meiner besonderen Aufmerksamkeit, wurde sie doch von unserem „Mariahilfer“ Walther Nagler dargestellt, der den Erzbischof (hervorragend und bewundernswert textsicher von Franz Halbedel verkörpert) mit seiner überzeugenden Darstellerkraft dazu bringen will, aus Ruhmsucht das Schicksal des Martyrers anzustreben. (…“Die letzte Verführung ist der größte Verrat, das Richtige aus dem falschen Grund zu tun.“…)

Nun, der von Heinrich II beauftragte Mord an Becket – von den vier Versuchern (Ritter) – verübt, ist allgemein bekannt. Mir gefiel jedoch besonders der Bruch in der Inszenierung von Burkhard Minisdorfer, die Verteidigungsreden der Mörder am Schluss des Dramas betont locker, verständnisheischend & menschlich darzustellen. Das Publikum und ich wurden so überrascht und schwankte zwischen Abscheu & Faszinosum. Ein Eindruck, der noch länger in der Magengrube blieb.

Pension Schöller einmal anders

Ich hatte das Glück im Breisgauischen Freiburg (Schwarzwald) einer sehr ungewöhnlichen Inszenierung von „Pension Schöller“ beizuwohnen. Im wunderschönen Innenhof des örtlichen Rathauses gibt sich das Wallgraben Theater die Ehre. Als Sommerproduktion wird heuer das beliebte Lustspiel Pension Schöller von Wilhelm Jacoby und Carl Laufs aus dem Jahre 1890 inszeniert. Wer bis einschließlich 5. September 2010 vor Ort ist, sollte sich diese Aufführung ansehen.

Gespielt wird nach dem Original (und natürlich nicht nach der herrlichen Wiener Variante von Hugo Wolf aus den 70gern). Nicht nur jene für österreichische Ohren ungewohnten Dialekte (schwyzerdütscht, berlinerisch, schwäbisch) bestechen, sondern vorallem die gewagte, aber gelungene Inszenierung von Andreas von Studnitz, der dem schönen Innenhof zum Trotz die handelnden Figuren in eine beinah surreale, puppentheaterhafte Ebene verführt. Durch die komplett schwarze Bühne und die „verkürzten“ Beine der Schauspieler (die Bühne ist bis auf Kniehöhe verdeckt; die Füße der handelnden Personen wurden durch auf Kniehöhe aufgebrachte Schuhe dargestellt) sowie die auffällige Kostümierung/Schminke erhielt das Stück einen ungewohnten aber starken, fast traumatischen Charakter. Die Leistung der Schauspieler und die musikalische Verstärkung tun ihr übriges für einen gelungenen Freilufttheater Abend.

Lassen Sie es sich auch nicht entgehen, was passiert, wenn die Glocke des Rathauses wie gewohnt zu jeder Viertelstunde schlägt.